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Vom Hormonrausch zur tiefen Ruhe: Die Stadien der Liebe

Man kann nicht schlafen, nicht essen. Man träumt nur vom anderen. Auch tagsüber. Da blickt man sehnsüchtig aus dem Fenster der U-Bahn und sieht nur sein oder ihr Gesicht in der Scheibe. Man rührt gedankenverloren im Kochtopf und kann nicht anders, als immer und ständig nur an den anderen zu denken. Der Bauch kribbelt, die Gedanken rasen, das Herz schlägt schneller, wir handeln nicht mehr rational: Wir sind verliebt.


Der Anfang ist wie ein Drogenrausch. Wir fühlen uns lebendig, könnten die ganze Welt umarmen, sind unbesiegbar und plötzlich scheint wirklich nichts mehr unmöglich. Wir müssen nicht mehr so viel Essen, es reichen ein paar Stunden Schlaf, weil wir uns lieber miteinander durch die Laken wälzen als uns auszuruhen. Der Körper ist im Ausnahmezustand, wir sind ein wandelnder Hormoncocktail auf zwei Beinen. Aber das funktioniert natürlich nicht auf Dauer. Irgendwann müssen wir wieder schlafen, richtig essen, private und berufliche Projekte vorantreiben und von Wolke 7 absteigen und auf dem Boden der Tatsachen landen, um weiterzugehen.


Wer nicht mehr verliebt ist denkt oft er liebt nicht mehr


Diese Phase dauert unterschiedlich lange. Manchmal ein paar Wochen, manchmal ein paar Monate. Selten bis zu einem Jahr. Danach nehmen wir langsam die berühmte rosarote Brille ab und sehen wieder klarer. Sehen plötzlich, dass der oder die andere kein makelloser und perfekter Übermensch ist, sondern jemand wie Du und Ich aus Fleisch und Blut mit Ecken und Kanten und den ein oder anderen Dingen, die uns an ihm, beziehungsweise ihr, stören. Und das ist ganz normal. Wir müssen die neu gewonnene Liebe in unseren Alltag integrieren, müssen zwischen Arbeit, Freunden und dem ganz normalen, täglichen Wahnsinn trotzdem noch Raum und Zeit füreinander einräumen und dann, ja dann is plötzlich nicht mehr alles so rosig und unglaublich wie wir dachten.

Hier beginnen bei vielen die Zweifel: Ist er/sie wirklich der/die richtige? Will ich doch lieber mit jemand anderem sein? Reicht das, wie der, die andere ist, damit es Liebe wird? Denn jetzt stehen wir an einem Scheidepunkt: Wir müssen uns entscheiden, ob wir wollen, dass aus Verliebtheit Liebe wird und ob die andere Person die richtige dafür ist. Das wilde, aufregende Kribbeln ist weg. Jetzt kehrt Normalität ein. Für viele ist das ein Anzeichen, dass sie den/die andere:n doch nicht lieben. Es kribbelt ja schließlich nicht mehr jedes Mal wenn wir uns sehen. Wir schlafen abends auch mal nebeneinander ein, ohne noch wild übereinander hergefallen zu sein und setzten doch mal wieder Freunde oder Familie als Priorität über einander.


Verliebtheit ist der Sturm – Liebe die Ruhe danach


Tatsächlich ist das, was wir miteinander haben, jetzt vom wilden Verliebtheitsgefühl in Liebe übergegangen. Und Liebe ist eben kein Rausch, Liebe ist viel mehr der Kater danach. Liebe ist auch mal anstrengend und kräftezehrend. Liebe fordert uns heraus, macht, dass wir aus unserer Komfortzone kommen, den Blickwinkel ändern und lernen, dass die Welt sich nicht um uns als Person dreht. Sondern dass wir uns als Liebespaar umeinander drehen. Wer diesen ersten Dämpfer, das erste Gefühl von Kater, übersteht, hat echte Chancen, das schöne an der Liebe kennenzulernen: Die tiefe Ruhe und das Vertrauen, das dann kommt. Das Langsame, das wellenförmig ist und stetig auf und ab geht. Das seine Höhe- und Tiefpunkte hat, das sich aber immer ganz nah um eine Nulllinien einpendelt, die die Basis unserer Liebe ist.




Paar im anfänglichen Verliebtheitsgefühl und Liebesrausch

Natürlich gibt es diese Verliebtheits- und Gänsehautmomente immer mal wieder. Auch nach Jahren oder Jahrzehnten zusammen. Wenn wir besondere Dinge miteinander erleben, wenn wir heiraten, Eltern werden oder uns nach längerer Zeit voneinander getrennt endlich wiedersehen. Dann ist der Funke wieder da und plötzlich brennt wieder ein kleines Feuer für den anderen in uns. Aber jetzt ist eben nicht mehr Waldbrandgefahr so wie am Anfang. Es besteht nicht mehr die Gefahr, dass wir uns verbrennen und vielleicht sogar ausbrennen. Jetzt haben wir ein kleines, kontrollierbares Feuer in uns, das uns wärmt, Trost spendet und dafür sorgt, dass wir uns darauf etwas zu Essen machen können. Es wird häuslich und heimelig und das fühlt sich einfach ganz anders an als der Rausch des Anfangs. Das erste Verliebtheitsgefühl ist wie das erste durchtanze Sommer-Open-Air nach einem langen Winter: Es durchflutet uns mit Glücksgefühlen, macht uns irgendwie high. Aber danach fallen wir schon auch müde ins Bett. Die Liebe ist der erste, kuschlige Regentag zuhause nach einem langen, durchfeierten Sommer. Wenn man nichts muss und man weiß, dass der schönste Platz der ist, an dem man gerade ist. Liebe ist also nicht das, was wir ganz am Anfang spüren. Liebe ist das, was kommt, wenn die Aufregung vorbei ist. Die Aufgabe die man dann als Paar hat ist, dass man zusammen herausfindet, wie man immer wieder kleine Funken zünden kann, damit das innere Feuer nie ganz ausgeht. Dass man aber auch akzeptiert, dass jeder seine eigene Art und Weise hat, Funken zu zünden und das jeder Rausch auch mal vorbei sein darf und wir lernen, unser nüchternes Leben genauso zu lieben wie den Rausch. Denn beides gehört dazu. Beides ist Teil des Prozesses und wir müssen lernen, alles daran zu akzeptieren und am Ende auch zu Lieben.

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